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Frankfurt an einem Wintermorgen 1985. Damals versuchte ich noch Menschen dazu zu bewegen, ein entlaufenes Baby-Nilpferd wieder einzufangen....

Ressortleiter Wolfgang E. Sommer machte ein bedeutungsvolles Gesicht: "Herr Kaufhold, kennen Sie eigentlich schon den Unterschied zwischen Lehrlingen und Volontären?" - Und nach einer kurzen Pause gab er selber die Anwort: "Lehrlinge darf man nicht schlagen...."

Von 1984 bis 1986 habe ich bei der Abendpost/Nachtausgabe in Frankfurt mein journalistisches Handwerk gelernt: Meldungen schreiben - Berichte, Reportagen. Die Boulevardzeitung wurde damals noch im Bleisatz hergestellt - eine gute Schule. Geschlagen wurde ich nie. Der Bleisatz ist längst Geschichte - die Abendpost seit langen Jahren eingestellt. Einen der Berichte aus meiner journalistischen Lehrzeit habe ich aber noch gefunden. Er handelt von....



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FRANKFURT.- Mit wehenden Umhang erklimmt „Kalanu“ die Bühne. Der „beste Hellseher der Welt“ - so verkündeten es die Plakate in der Buchabteilung im Kaufhaus Hertie/Zeil – greift weltmännisch gelassen zum Mikrophone und haucht im besten französischen Akzent: “Entschuldigen Sie meine Verspätung, wegen Flug“. Solche klangvollen Sätze des wohlbekannten Stars lassen noch ungenannte Fähigkeiten in ihm vermuten, hatte doch der Werbeleiter des Kaufhauses, Gustav Naumann, noch vor Minutenfrist,“im Hotel angerufen, um zu sehen wo er bleibt“. Konnte Kalanu die Wegstrecke mit kräftigen Flügelschlägen überwinden und den Frankfurter Verkehr unter sich lassen? Als echter Hellseher hat man eben keine Probleme mit der Gravitation, höchstens mit der Pünktlichkeit.

Kaum steht „Kalanu“ mit beiden Füßen fest auf der Holzbühne, da fuchtelt er fruchterregend mit den Händen durch die Luft. Einige Samstagseinkäufer bleiben neugierig stehen, und schon berichtet Pierre Fey (44), so heißt Kalanu, wenn er nicht hellsieht über seine großen Erfolge: „Ich hatte eine Vision, ich sah sekundenlang das Gesicht von Alfred Hitchcock vor meinem geistigen Auge, ich sah einen Ausschnitt aus dem Film „Die Vögel“. Messerscharf gelang es dem Maestro mit dieser Vision den Tod von Grace Kelly vorauszusagen. Jener Schauspielerin, die Fürstin von Monaco wurde und niemals im Film „Die Vögel“ mitwirkte.

Doch selbst Kalanu gelingen derartige parapsychologische Bravourstücke nicht von alleine: „Ich brauche für meine Arbeit eine große Suite, möglichst hoch in einem Haus, ich brauche die richtige Atmosphäre, die richtige Temperatur“, erläutert Pierre Fey. So einfach von der Bühne in der Buchhandlung aus gehe es nicht mit den Prophezeiungen.

„Die besten hellseherischen Fähigkeiten“, so plaudert Kalanu dann aus dem Nähkästchen, „haben Frauen und Elefanten.“ Die Augen einiger Zuschauerinnen beginnen zu glänzen. Kalanu kommt so richtig in Fahrt. Er erzählt von seinen paranormalen Abenteuern im Fernen Osten, in den USA oder auch mal hier in Europa. „Ich sehe einen großen Krieg voraus, zwischen England und Irland. Und zwar in den nächsten zehn Jahren. Die halbe Insel wird hinweggefegt“, orakelt der zuweilen schwerelose Hellseher gewichtig.

Dann fragt ihn ein Passant neugierig nach seinem Gabel-verbiegenden Kollegen Uri Geller. Kalanu wird plötzlich still, sein Blick wandert für einen kurzen Moment über das andächtig lauschende Publikum und schweift dann in die Weite des Raumes: „Mit Hellsehern“, so meint er nachdenklich,“ ist es wie in jedem anderem Beruf: Es gibt schwarze Schafe und Scharlatane.“



MARCUS KAUFHOLD 1985







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